Wenn Dein Bauchgefühl im Training „nein sagt“, dann geh einfach!
Ja wenn das mal immer so leicht wäre…
Ich berichte an dieser Stelle mal von meinen persönlichen Erfahrungen – ohne Anspruch darauf allgemeingültig oder eine wissenschaftliche Abhandlung zu sein.
Es ist einfach mein sehr persönlicher, schmerzvoller Erfahrungsbericht, der Versuch einer Erklärung, meine Empfehlung an Dich und was ich daraus gelernt und geschaffen habe.
Meine Hoffnung ist es, dass Dir und Deinem Hund dadurch manches Leid erspart wird.
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Aufklärung ist so wichtig
Es häufen sich (in meiner Bubble) gerade zahlreiche wunderbare Beiträge, die sich damit beschäftigen, warum immer noch so viele Menschen aversiv mit ihren Hunden trainieren. Wo es doch wirklich auch anders geht.
Meine Kolleg*innen klären wunderbar fachlich fundiert auf, wie Hundetrainer*innen durch ihre Aussagen und ihre Texte so viele Menschen anziehen, und wie schwierig es inzwischen ist, allein durch die Texte/Aussagen wirklich erkennen zu können, wie diese*r Trainer*in arbeitet…
Dadurch landen viele Menschen mit ihren Hunden bei Trainer*innen, deren Arbeitsweise ich – und meine Bubble – nicht gutheißen können und wollen. Vor allem, weil es einen anderen Weg gibt, der funktioniert.
Bei vielen der Diskussionen fühle ich mich an meine Anfangszeit mit Calimero zurückversetzt und schmerzlich ertappt. Ich hätte aus heutiger Sicht sehr vieles anders gemacht. Und hätte sowohl Calimero als auch mir sehr viel Leid ersparen können.
Unweigerlich kommt in den Diskussionen irgendwann die Empfehlung
„Wenn Dein Bauchgefühl bei dem Training nicht stimmt, dann geh einfach. Sei mutig und geh!“
„Ich weiß gar nicht, warum die Leute das so lange mitmachen“
„Den Menschen ist ihr Bauchgefühl abhanden gekommen“
„Wieso machen die das mit ihren Hunden?“
Und von Betroffenen rückblickend auch:
„Ich schäme mich so, dass ich das mit meinem Hund gemacht habe. Ich weiß gar nicht, wieso mir nicht viel früher die Augen aufgegangen sind“.
Zu gehen ist nicht immer leicht
Wenn ich diesen Ratschlag höre, regt sich in mir:
Ja wenn ich das damals gekonnt hätte… Warum hab ich das damals nicht „einfach“ gemacht?
Häufig fühlt es sich so an – oder wird auch konkret so dargestellt, dass Dein Hund „ja offensichtlich nicht funktioniert“ – während alle anderen in der Gruppe „funktionieren“. Also muss ja deren Weg der richtige sein und Deiner falsch. So war das damals bei mir. So fühlte ich mich.
Ein Schluss, der schnell gezogen ist, aber leider so nicht stimmt, denn das Streben nach „Funktionieren“ berücksichtigt häufig nicht die Gründe für ein Verhalten.
Du gehst ja meistens in eine Hundeschule, um etwas zum Besseren zu verändern, was Dich belastet. Oder um dafür zu sorgen, dass Du von Anfang an unbelastet, fröhlich und frei mit Deinem Hund durchs Leben gehen kannst. Das war jedenfalls damals meine Motivation.
Was dann aber manchmal passiert, ist etwas ganz anderes. Bei uns war das zumindest so.
Ich war in der Hundeschule, um mit meinem Hund von Anfang an ein tolles Leben teilen zu können. Um Abenteuer zu erleben und gemeinsam Freude zu haben.
Was ich in der Hundeschule erlebt habe, war allerdings, dass das Verhalten meines Hundes dort nicht akzeptabel war. Und dass ich das so nicht durchgehen lassen konnte. Wenn ich mit dem Hund ein schönes Leben haben möchte, dann muss er sich anders verhalten. Nämlich genau so, wie ich es von ihm verlange.
Mein Bedürfnis, mit meinem Hund ein gutes Leben zu führen wurde reduziert auf „dann muss Dein Hund sich so – und auf keinen Fall anders – verhalten. Und um das zu erreichen, musst Du das eben genau so – und nicht anders machen.“
Aus heutiger Sicht
Warum Calimero sich in der Hundeschule so verhielt, wie er sich verhielt – darauf wurde gar nicht eingegangen. Nur die Tatsache, dass er er es tat.
Es wurden Anforderungen an ihn gestellt und wenn er sie nicht erfüllte, dann wurde das „korrigiert“ oder vehement eingefordert. Anders gesagt: Er wurde drangsaliert. Ich habe ihn drangsaliert. Heute weiß ich, dass er für diese Rahmenbedingungen tatsächlich einfach völlig nachvollziehbares hündisches Verhalten gezeigt hat.
Hätte er mir eine WhatsApp „Ich halte es nicht aus – ich muss sofort hier weg“ schicken können – dann hätte ihn verstanden.
Hunde können nur leider keine WhatsApp Nachrichten schreiben. Sie können nur auf hündisches Verhalten zurückgreifen. Mit seinem Verhalten hatte er mir genau jene Nachricht gesendet.
Ich habe Calimeros Beweggründe damals nicht verstanden. Dort konnte ich es auch nicht lernen. Sein Verhalten wurde mit Sturheit, Respektlosigkeit, Der akzeptiert Dich nicht, Der achtet Dich nicht. Der testet Dich. – betitelt. Und ich wäre Schuld daran. Schuld daran, dass er sich jetzt so daneben benimmt und sich nicht richtig verhält.- Da musst Du jetzt hart durchgreifen, Dich endlich mal durchsetzen.
Ich wollte eigentlich freundlich und belohnend mit meine Hund umgehen – aber sein „Fehlverhalten“ war ja der Beweis, dass mein Weg nicht funktioniert. Und ja- ich wusste damals auch nicht genug – wollte es ja schließlich in der Hundeschule lernen. Aber dieser Weg wurde dort nicht gelehrt.
Ich habe es spät – aber nicht zu spät erkannt, dass es diesen anderen Weg auch gibt. Und dass dieser Weg sehr zuverlässig und erfolgreich ist und jederzeit beschritten werden kann.
Der Versuch einer Erklärung
Ich stand also beschämt, hilflos und zutiefst verunsichert mit meinem „randallierenden“ Hund auf dem Platz. Ich wollte doch einfach nur ein gutes Leben mit meinem Hund haben. Nett sein, Freude aneinander haben. Und auf gar keinen Fall negativ auffallen.
Mir ging es gar nicht gut – und meinem Hund noch viel weniger. Heute weiß ich natürlich auch, wie ich ihn hätte unterstützen können. Wie er das hätte lernen können, was er gebraucht hätte, damit wir beide ein gutes Leben hätten führen können. Und ich weiß auch, was ICH damals gebraucht hätte… Und was eben nicht – was aber bei mir super funktioniert.
In mir wurden damals einige Glaubenssätze getriggert:
„Du bist nicht gut genug“
„Deine Gefühle sind egal. Reiss Dich zusammen. Nur Ergebnisse zählen“.
O-Ton: „Wenn Du so weitermachst, wird das bei Euch in einer Katastrophe enden“.
Wenn Dir das jemand sagt, dessen Hunde sich offensichtlich (in den Augen der Gruppe) vorbildlich verhalten, aus dessen Hundeschule viele im Hundesport erfolgreiche Teams hervorgehen, der ja so viel mehr Erfahrung mit Hunden hat als Du – und der Dir sicht- und fühlbar im Training vor allen Augen demonstriert, dass Deine Wünsche und Bedürfnisse nicht zum Ziel führen“…
… dann ist es nich so einfach, den Hund zu nehmen und zu gehen. Ich konnte es jedenfalls lange nicht.
Denn was wir in der Schule wirklich von Beginn an gründlich lernen ist, dass Gefühle, Bedürfnisse und persönliche Interessen nicht wichtig sind. Sie zählen nicht. Du musst in allen Bereichen eine mit allen anderen vergleichbare Leistung bringen können. Immer.
Die Alternative
Sich hinzustellen und zu sagen: „Es ist mir wichtig, wie mein Hund sich fühlt und ich möchte seine Bedürfnisse erfüllen“ erfordert mehr Mut als ich damals hatte.
Mein Bauchgefühl hat mir das von Anfang an vermittelt – mein Kopf war gut darin geworden, dagegen zu argumentieren.
Vielleicht liegt genau in dem folgendem Denkansatz ein großes Problem in der Akzeptanz von bedürfnisorientiertem Hundetraining:
„Auf meine Bedürfnisse nimmt doch auch niemand Rücksicht – wieso sollte ich also auf die Bedürfnisse meines Hundes Rücksicht nehmen.
Ich muss mich auch anpassen, damit ich gut durchs Leben komme. Dann kann ich das von meinem Hund ja wohl auch verlangen.“
Der große Unterschied ist:
Dein Hund hatte nie eine Wahl! Er hat sich Dein Leben nicht ausgesucht. Du hast ihn ausgesucht. Und Dein Hund hat weiterhin keine Wahl für seine Lebensumstände: Weder kann er abwandern noch seine Situation verbessern.
Und nur wenn Dir das klar und nicht egal ist, wirst Du in der Lage sein, Dich auf bedürfnisorientiertes Training einzulassen. Und Freude daran finden, das Leben Deines Hundes positiv zu gestalten – seine Bedürfnisse kennenzulernen und Freude daran empfinden, sie zu erfüllen. Etwas zu finden, an dem Ihr beide Freude habt und das zusammen auszuleben:
Dem Hund an Deiner Seite zugestehst, ein gleichwürdiger Partner zu sein.
Dessen Bedürfnisserfüllung komplett in Deiner Hand und Verantwortung liegt. Dann wirst Du Training so gestalten und Kompromisse finden können, die sowohl Deine Bedürfnisse als auch die Deines Hundes ernst nehmen und berücksichtigen.
Und es gibt wirklich viele sehr gute Trainer*innen, die Dich dabei unterstützen können.
Meine Empfehlung für Dich
Und weil „dann geh einfach“ viel leichter gesagt als getan ist, gebe ich folgende Empfehlung.
Mach Dir bei der Trainer*innen-Suche ganz genau bewusst, was Du mit Deinem Hund im Training erreichen möchtest. Was ist Dir wichtig, worauf legst Du wert. Was willst Du lernen und wie willst Du mit Deinem Hund zusammen leben.
Und dann recherchiere bei den Angeboten. Welcher Tenor liegt in den Texten? Geht es um Konflikte, Funktionieren und Grenzen setzen, körpersprachliche Arbeit, Frust aushalten lernen. Oder geht es um Bedürfnisse und Lebensqualität? Deine und die von Deinem Hund. Darum, den Hund zu verstehen und seine Bedürfnisse nicht grundsätzlich niedriger zu werten als Deine. Und dennoch – auch hinter tollen Texten kann Training stecken, dass Du so gar nicht wolltest. Leider.
Meine beiden wichtigsten Empfehlungen für Dich lauten daher: Wenn Du dann eine*n Trainer*in gefunden hast, die in die nähere Auswahl kommt, dann
Schau Dir das Training zuerst OHNE Hund an
Frage, ob Du ohne Hund mal an einer Stunde teilnehmen kannst – nur zum Schauen. Und auch wenn das was kostet – mach es! Denn so kann Dir nicht passieren, dass Du im Rahmen des Trainings Dich und Deinen Hund in eine blöde Situation bringst. Eine Erklärung für Dein Verhalten oder das des Hundes geben musst, etwas machen sollst, was Du eigentlich nicht willst. Ganz ohne Bloßstellung.
Stelle Fragen
Das ist für mich die „Gretchenfrage“, deren Beantwortung am wichtigsten ist:
„Lerne ich hier, wie ein Hund in unserer Gesellschaft oder nach meinen Ansprüchen funktioniert und immer und überall zuverlässig genau nur das tut, was ich will
oder
lerne ich hier, wie ich meinen Hund dabei unterstützen kann, möglichst gut durch sein von mir bestimmte Leben zu kommen und wir beide zusammen eine freudvolle und erfüllte Zeit miteinander haben und unseren gemeinsamen Hobbys nachgehen können?“
Bilde Dich fort - hinterfrage kritisch
Kaum ein*e Trainer*in wird Dir direkt sagen, dass ihr bzw. ihm die Bedürfnisse Deines Hund und sein Wohlbefinden egal sind. Häufig wird argumentiert, dass das „Funktionieren“ Deinem Hund und Dir eine große Freiheit bietet. Und Sicherheit. Und Verbindlichkeit. Und Schutz. Und ein entspanntes Leben.
Klingt verlockend. Und erstmal einleuchtend. Ist es aber nicht.
Auf den dahinterliegenden Trugschluss gehen die Podcasts und Artikel meiner geschätzten Kolleg*innen ausführlich ein.
Wie es Deinem Hund geht und welche Beweggründe hinter seinem Verhalten stecken, ist wichtig. Eine gute Bedürfnisbefriedigung Deines Hundes kann für deutlich seltener auftretendes unerwünschtes Verhalten sorgen.
Und nein – Frustrationstoleranz entwickelt der Hund nicht durch Aushalten von aktiv zugeführtem Frust, sondern durch das Erlernen von alternativem bedürfniserfüllenden Verhalten.
Und ja – Grenzen können sehrwohl auch freundlich effektiv gesetzt werden. Und nochmal ja, auch bedürfniserfüllend, positiv arbeitende Trainer*innen setzen ihren Hunden Grenzen – sie tun es allerdings freundlich. Und sie provozieren es nicht aktiv.
Wie es für mich weitergegangen ist
Ich habe spät und erst nach viel Leid meinen Weg gefunden. Aber ich habe ihn gefunden.
Für Calimero und mich waren die Gamechanger
- die Entdeckung von Mantrailing
- ihm ungestört und sicher seine Hundedinge in unserer gemeinsamen Draußenzeit zu ermöglichen.
Ich habe immer mehr Wege und Unterstützung gefunden, meine und Calimeros Bedürfnisse zu erkennen und mutig für sie einzustehen. Meine und seine.
Ich habe Calimeros Verhalten immer besser verstehen gelernt, meine Fehler erkannt und daraus gelernt, es besser zu machen.
Und genau deswegen habe ich zum einen die „etwas andere Hundewiese“ geschaffen und bin darüberhinaus auch Mantrailing Trainerin geworden – mit Schwerpunkt Enrichment. Darin bilde ich inzwischen auch Kolleg*innen weiter.
Um immer mehr Menschen den Raum zu bieten, gemeinsam mit ihren Hunden ihrer beiden Bedürfnisse wertgeschätzt und geschützt ausleben zu können.
Astrid Sperlich
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